Vor über einem Vierteljahrhundert, Ende der 80er, formulierte der Amerikaner Mark Weiser, Leiter am Palo Alto Research Center der Fa. Xerox die Idee, dass langfristig PC und Workstation verschwinden, weil überall Zugang zu Rechenleistung besteht. Diese Vorstellung nannte Weiser „allgegenwärtiges Rechnen“ – Ubiquitous Computing. Durch die Idee des allgegenwärtigen Rechnens wurde dann Anfang der 90er am Medienlab des MIT ein Projekt angeregt, das den damals ehrgeizigen Namen trug „Things that think“. Statt der Menschen sollten bald Dinge über das Netz kommunizieren. Es entstand das Internet der Dinge.
Prof. Elgar Fleisch war einer der ersten, der sich im deutschsprachingen Raum mit diesem Thema beschäftigte. Bereits 2005 erschien sein Buch „Das Internet der Dinge“ im Springer Verlag, ein neues Werk ist in Vorbereitung. DWC sprach mit Prof. Elgar Fleisch und Prof. Felix Wortmann.
Bereits 2005 haben Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Herrn Prof. Mattern, ein Buch über das Internet der Dinge geschrieben. Was versteht man konkret darunter?
Das Internet der Dinge steht für eine Vision: dass jeder Gegenstand und jeder Ort Teil des Internets wird. Dabei wird jeder Gegenstand mit einem für Menschen oft unsichtbaren Minicomputer ausgestattet, der mittels Sensorik seinen Zustand und den Zustand seiner Umgebung vermisst und sich mit anderen sogenannten smarten Gegenständen sowie dem Internet verbindet.
Was hat sich seit 2005 getan, wo stehen wir heute?
Optional: Das Internet hat in den letzten zwei Jahrzenten die Welt nachhaltig verändert. Es hat sich zunächst als Geschäftsplattform etabliert: Wir alle kaufen heute z.B. ganz selbstverständlich über das Internet ein. Dann folgte das Web 2.0, d.h. die „Nutzer schaffen Wert.“ Social Media, Crowdsourcing und Open–Source-Modelle beherrschten die Themenmatrix. Mit dem Internet der Dinge steckt nun die Technologie in den Produkten und Services selbst: „Die Dinge schaffen Wert.“
In 2005 haben wir die ersten Internet der Dinge-Anwendungen in der Praxis gesehen, heute ist das Internet der Dinge als „Web 3.0“ in aller Munde. Wir reden nicht mehr über vereinzelte Anwendungsfälle in ausgewählten Industrien sondern über grundlegende Veränderungen ganzer Branchen wie Mobilität, Industrie und Energie durch das Internet der Dinge.
Wenn man über das Internet der Dinge spricht fällt auch immer wieder das Stichwort RFID. Was versteht man darunter?
RFID steht für „radio-frequency identification“, d.h. es geht um die automatische und berührungslose Identifizierung und das Lokalisieren von Objekten durch die Anbringung von „Funketiketten“.
Was sind die wichtigsten Anwendungsbeispiele, für welche Branchen bietet es den größten Nutzen?
RFID-Technologie wird heute vor allem in der Logistik verwendet. Generell gilt: Was man nicht messen kann, kann man auch nicht managen. Heute liefern Sensoren im Wesentlichen noch ein unscharfes, grobpixeliges Bild der Welt. Weil das Internet der Dinge aber eine feingranulare Neuvermessung der Welt z.B. durch RFID ermöglicht, wird sich auch das Management ändern. Physische Prozesse werden in einem bisher ungeahnten Ausmaß beherrschbar – vom Monitoring über die Steuerung und Optimierung hin zur Autonomie.
Die Vision des IoT das Internet durch die Einbindung physischer Gegenstände in die reale Welt hinein zu verlängern, findet inzwischen in verschiedensten Bereichen Anwendung. Dabei steht heute die RFID-Technologie nicht mehr im Mittelpunkt. Zu den meistbeachteten Entwicklungsfeldern für IoT-Anwendungen zählen aktuell beispielsweise die Bereiche „Industrie 4.0“ mit Fokus auf intelligente Fertigungssysteme, Logistik und Produktionsanalagen, „Smart Home“ mit Anwendungen wie intelligenten Thermostaten und Sicherheitssystemen sowie „Smart Energy“ mit der Entwicklung intelligenter Energieinfrastrukturen.
Welche neuen Geschäftsmodelle haben sich durch das Internet der Dinge entwickelt bzw. werden sich noch entwickeln?
Das Internet der Dinge ermöglicht hybride Geschäftsmodelle. Bei hybriden Geschäftsmodellen geht es um Produkt- und Serviceangebote, die sowohl physische Komponenten als auch digitale Leistungen enthalten. Eine vernetzte Heizung ist nach wie vor eine Heizung, die für angenehme Wärme sorgt. Durch die Vernetzung kann die Heizung nun ferngesteuert werden. Ein neuer digitaler Service. Außerdem kann der Installateur bei einem Schaden vorab prüfen welches Problem vorliegt und so das notwendige Ersatzteil gleich mitbringen - wenn der Kunde den Fernwartungs-Zugriff erlaubt. In Zukunft werden wir mehr und mehr vernetzte Dinge erleben, die digitale Services ermöglichen. Dabei werden die Dinge zunehmend autonomer und intelligenter.
Welche Auswirkungen, hat das Internet der Dinge auf unseren Alltag? Wie verändert sich unser Zusammenleben?
Das Internet hat unseren Alltag in den letzten Jahren bereits massiv verändert. Ein Beispiel: Social Media und Messaging haben die Kommunikation von Menschen revolutioniert. Selbstverständlich nicht nur zum positiven, wie die aktuellen „Fake News“ Diskussionen zeigen. Die Veränderungen, die das Internet der Dinge bringt, werden ebenso fundamental sein. Im privaten Bereich werden Tätigkeiten wie Autofahren oder auch Hausarbeit durch intelligente, vernetzte Systeme unterstützt oder komplett automatisiert. Im beruflichen Alltag wird der Mensch vermehrt mit intelligenten Systemen zusammen arbeiten. Der Robotor wird tatsächlich zum Kollegen. Es entstehen neue Freiräume, z.B. dann wenn mich mein Auto zur Arbeit fährt und ich nicht mehr selber fahren muss. Es entstehen neue Risiken, z.B. dann wenn der Roboter meinen Arbeitsplatz bedroht.
Alle Daten von RFID-Chips können Personen zugeordnet werden. Werden wir dadurch nicht noch „gläserner“ und haben Unternehmen oder der Staat damit die totale Kontrolle über uns?
RFID-Technologie wird häufig in der Logistik ganz ohne Personenbezug eingesetzt. Leider wird im Kontext Internet der Dinge gerade in der öffentlichen Diskussion selten differenziert argumentiert. Technologie bedeutet immer Chance und Risiko. Selbstverständlich kann man mit den entsprechenden Technologien überwachen. Aber man kann auch Leben retten und Arbeitsplätze schaffen. Es hängt von der Gesellschaft ab, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir sind alle aufgefordert die Chancen zu nutzen und die Risiken z.B. durch entsprechende Gesetzgebung zu begrenzen.
Wie sieht die Zukunft aus? Was macht in 10 oder 20 Jahren das Internet der Dinge mit uns?
Intelligente vernetzte Dinge werden unser Leben fundamental verändern. Ob nun autonomes Fahren, intelligentes Zuhause oder vernetzte Produktion und Logistik. Weniger wichtig ist die Frage, was das Internet der Dinge mit uns macht. Viel wichtiger ist: Was können wir tun, um die Chancen, die das Internet der Dinge bietet, konsequent für uns zu nutzen bzw. was kann und sollte das Internet der Dinge für uns und mit uns tun? Es geht um das aktive Gestalten unserer Zukunft. Hier ist jeder einzelne gefragt, ob einfacher Arbeitnehmer, CEO, Forscher oder Politiker.
Prof. Dr. Elgar Fleisch ist Professor für Informations- und Technologiemanagement an der ETH Zürich und der Universität St. Gallen (HSG) sowie Direktor am dortigen Institut für Technologiemanagement. Im Zentrum seines Forschungsinteresses steht die aktuell stattfindende Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt zu einem Internet der Dinge. Er verfolgt mit seinem transdisziplinären Team das Ziel, diese Verschmelzung in den Dimensionen Technologie, Anwendungen und soziale Implikationen zu verstehen und darauf aufbauend neue Technologien und Anwendungen zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft zu entwickeln. Die Forschungsergebnisse haben Elgar Fleisch und sein Team in über 500 wissenschaftlichen Beiträgen publiziert. Elgar Fleisch ist Mitgründer mehrerer ETH und HSG Spin-off Unternehmen und Mitglied in diversen akademischen Steuerungsausschüssen sowie Aufsichtsräten, u.a. bei allthings.me, Basel, Robert Bosch GmbH, Stuttgart, Mobiliar Versicherungen, Bern und Dacuda, Zürich. Geboren 1968 in Bregenz, Österreich, hat Elgar Fleisch an der HTL Bregenz in der Fachrichtung Maschinenbau maturiert, anschliessend in Wien Wirtschaftsinformatik studiert und 1993 im Bereich Künstliche Intelligenz seine Dissertation abgeschlossen. Nach seiner Habilitation zum Thema Netzwerkunternehmen und diversen Zwischenstationen wurde er 2002 an die HSG berufen, 2004 zusätzlich an die ETH. Seine Sabbaticals verbrachte Elgar Fleisch am MIT und am Dartmouth College, beide USA. Elgar Fleisch lebt seit 1999 in St. Gallen, ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau vier Kinder. Wie seine gesamte Familie ist er heute Schweiz-Österreichischer Doppelstaatsbürger.
Felix Wortmann ist Assistenzprofessor für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen (HSG). Darüber hinaus hat er die wissenschaftliche Leitung des Bosch Internet of Things Lab an der HSG inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Internet der Dinge, Big Data und Geschäftsmodelle. In diesem Kontext ist Felix Wortmann regelmässig auch als Gutachter und Experte z.B. für das deutsche Bildungs- und Wirtschaftsministerium aktiv. Von 2006 bis 2009 war er als Assistent des Vorstands bei der SAP AG tätig. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik hat Felix Wortmann 2006 an der HSG promoviert.