Der Funke des Fortschritts

Der Funke des Fortschritts Versagt der Markt in Krisenzeiten?
Versagt der Markt in Krisenzeiten?

Nie war es wichtiger als über die Rolle des Staates zu diskutieren als in Krisenzeiten. Der Staat hielt in den vergangenen Monaten mit scheinbar bodenlosen Taschen die Wirtschaft am Laufen. Das Mitspracherecht der Bundesregierung wächst mit jeder Unternehmensbeteiligung. Aber kann das Konzept langfristig funktionieren? In unserer sozialen Marktwirtschaft hat der Staat die Aufgabe, unternehmerische Exzesse zu unterbinden und den Ordnungsrahmen zu setzen. Das doppelte Spiel der unsichtbaren Hand sehen manche als Gefahr. Denn als Shareholder ist der Staat Spieler und Schiedsrichter zu gleich. Dieses Doppelspiel birgt Interessenskonflikte, zumal die Historie zeigt, dass der Staat häufig nicht zum Unternehmer taugt. Anderseits sei die schützende Hand im Krisenfall wichtig.

In der öffentlichen Diskussion eskaliert der Streit immer mehr. Heftig tobt der Grundsatzdiskussion um Staat und Markt. Ich vermisse im Gemenge der Argumente eine wichtige Perspektive. Die Rolle eines Staates für eine Volkswirtschaft darf nicht allein an der Funktion im Krisenfall aufgehängt werden. Wenn unreflektiert zum Rückzug der öffentlichen Hand aufgerufen wird, übersieht man schnell eine wichtige Kehrseite der Medaille: Die Erfolge von Unternehmen sind der kumulative Erfolg entlang aller Lebensphasen. Innovation und schöpferische Zerstörung gehören ebenso dazu, wie Marktreife und die stürmischen Krisenzeiten. Wer die Rolle des Staates diskutieren will, darf sich nicht nur an der Funktion als Fallschirm und Krisenstütze abarbeiten. Die Historie zeigt in vielen Fällen, darunter auch Japan, China und USA, dass der Staat als Marktbereiter und Innovationsimpuls, Risiko-Financier und Technologie-Selektierer agierte und die Erfolge in vielen Fällen erst möglich machte.

Wer den Staat in die Rolle als Nachtwächter drängt, verkennt die Leistungen, welche er in der Innovation geleistet hat. Denn die jetzige Krise zeigt ein Phänomen ganz deutlich: Wer innovativ ist, ist auch weniger verwundbar in Krisen.

Fall 1: Der Staat als Krisenmanager

Die „Unsichtbare Hand“ von Adam Smith gilt nicht im Krisenfall. Dann sind es die schnellen Entscheidungen und die gezielten Eingriffe durch einen zentralen Krisenstab, um Ungleichgewichte zu hemmen und Notprogramme zu finanzieren, wo exogene Schocks zu betriebswirtschaftlichem Elend führen würden. Der Markt dient vor allem sich selbst. Angebot und Nachfrage bestimmen Gleichgewichtspreise und eine stabile Versorgung - aber nicht im Krisenfall. Hier hat der Staat die Verantwortung für Leben und Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Eigene Produktion und Lagerung für den Krisenfall sind notwendig. Viele machen auf die globalisierte Welt und internationale Wertketten für das Ausmaß der Krise verantwortlich. Die enge Verzahnung weltumspannender Supply Chains macht eben auch abhängig. Hier kann es notwendig sein, auf den ersten Blick betriebswirtschaftliche wenig sinnvolle Entscheidungen zu treffen, etwa um Produktionskapazitäten für die Notversorgung sicherzustellen oder die Versorgungsautarkie über Quotenregelungen zu beeinflussen, auch wenn ein komplettes Outsourcing in Boom-Zeiten lukrativer wäre.

In der Finanzkrise und in der Coronakrise war eine proaktive Rettungspolitik sinnvoll, um die Wirtschaft vor dem Kollaps zu retten. Viele werfen der momentanen Rettungspolitik aber vor, Zombiefirmen zu kreieren, welche nur durch künstliche Unterstützung am Leben gehalten werden. Auch die Debatte, wann der richtige Zeitpunkt ist, die staatliche Einflussnahme wieder zurückzufahren, läuft momentan hitzig. Zu viele Beispiele sind in den Köpfen, wie die Telekom, die Commerzbank oder die Deutsche Bahn, wo viele dem Staat als Manager kein gutes Zeugnis ausstellen würden. Momentan ist die Bundesregierung noch mit knapp 16% Prozent an der Commerzbank beteiligt, anfänglich waren es mehr als 25 Prozent. Kein Geheimnis ist, dass sich der vertrauensbildende Vorstoß finanziell nicht ausgezahlt hat.

Keiner wird leugnen, dass der Staat als Rettungsschirm wichtig ist, um kurzzeitig notleidende Unternehmen abzusichern. In jedem Fall stehen hinter jeder Pleite Arbeitsplätze. Klar ist aber auch, wenn darüber gesprochen werden muss, wieviel Staat die Wirtschaft verträgt, geht es auch um klare Post-Krisen-Exitstrategien, die definiert werden müssen. Denn nur durch gesunden Wettbewerb wachsen agile Spieler, die dem Wettlauf in digitalen Märkten gewachsen sind.

Fall 2: Der Staat als tollkühner Innovationstreiber

Dem Staat aber nur die Reparation von Markversagen zu überlassen, wäre aber zu wenig. Allerdings gibt es einige Keynes-Hardliner, welche die Rolle des Staates immer noch lediglich in einer Nachfragestabilisierung sehen. Joseph Schumpeter ging schon weiter und forderte die zerstörerische Innovation und einen Staat, der auch da Geld in die Hand nimmt, wo gezielte Innovationen stimuliert werden. Erst wenn diese beiden Sichtweisen kombiniert werden, wird Wachstum bei fairer Umverteilungspolitik möglich. Denn Umverteilung ist wichtig, aber sorgt eben selbst nicht für Wachstum. Keynes war überzeugt, dass der Staat, nicht die gleichen Dinge etwas besser oder schlechter ausführen sollte, die bereits heute von Einzelpersonen gemacht werden, sondern dass er zu den Dingen beiträgt, die niemand macht, um das zu ermöglichen, was ohne ihn nicht möglich wären. Unter dem Aspekt muss man die Forderung nach Zurückhaltung neu interpretieren. Denn eines hat der Staat: einen langen Atem, wenn es um die Finanzierung von Grundlagentechnologien geht.

Bei den wirklichen Revolutionen, der Eisenbahn, der Nanotechnologie, der Pharmaforschung und dem Internet kamen die frühesten und kapitalintensivsten Anstrengungen vom Staat. Das ARPANET, ursprünglich ein kleines Netzwerkprojekt des amerikanischen Verteidigungsministeriums, kann heute als die Mutter des Internets betrachtet werden. Erst wenn der Staat die wilden Ideen kreativer Visionäre über die Schwelle erster Prototypen hievt, steigen Unternehmen und auch Business Angels ein, um marktfähige Geschäftsmodelle daraus zu entwickeln. Das beste Beispiel ist das iPhone. Alle Features, welche das Gerät wirklich smart machen – also Internet, GPS, Touchscreen und Siri wurden nicht von Garagenbastlern erfunden, sondern waren die Früchte von jahrzehntelanger Grundlagenforschung – gesponsort durch den amerikanischen Staat. Grundlage waren die Ergebnisse kluger Wissenschaftler im Energieministerium oder dem DARPA, einer wichtigen Behörde des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten, die Forschungsprojekte für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten durchführt. DARPA steht beispielsweise hinter Mikroprozessoren oder der technologischen Grundlage für Siri. Wenige wissen, dass der Algorithmus, mit dem Google seine Umsätze erwirtschaftet, mit dem Geld der amerikanischen National Science Foundation entwickelt wurde oder dass die molekularen Antikörper, welche die Grundlage der Biotechnologie-Industrie bilden, im staatlichen Medical Research Council in England entwickelt wurden.

Die berühmte Aussage von Steve Jobs, man müsse tun, was man liebt und tollkühn bleiben, um Großes zu erzeugen, ist mit Sicherheit richtig. Es fällt allerdings leichter in einem Land, in dem der Staat die Schlüsselrolle für Breakthrough-Technologien spielt und junge Ideen solange zur Reife trägt, bis sie auch attraktiv genug für die Privatwirtschaft sind. Der Staat leistet das, was ungeduldige Kapitalisten nicht über Wagniskapital leisten wollen – die Anschubfinanzierung von Grundlagentechnologien.

Die Organisation staatlicher Innovationsarbeit ist mehr als Steueranreize

Es ist wichtig, dass der Staat Investitionsanreize und die richtigen Leitplanken setzt, um Unternehmen zu halten und Forschungsarbeit anzukurbeln. Tatsächlich haben Forscher aber wenig Anhaltspunkte gefunden, dass eine reine steuerliche Förderung von F&E-Aufwendungen in Unternehmen die Erfolge und Entscheidungen für Innovationstätigkeiten stimuliert. In vielen Ländern müssen die Unternehmen auch keine Rechenschaft ablegen, woran sie arbeiten und ob Durchbrüche gelungen sind oder ob sie an den Produkten weiterentwickeln, die ohnehin schon auf dem Markt sind. Ein unternehmerischer Staat wäre deswegen häufig besser beraten, einen Teil der steuerlichen Förderungen gezielt in gewissen Technologien zu investieren.

Ein Staat, der nur blind den F&E-Budget erhöht, ist kein effektiver Innovator. Wagniskapital unterstützt Wachstum, aber wird uns nicht notwendigerweise zu den nächsten Mega-Technologien führen. Business Angels setzen auf hohe Renditen und schielen häufig auf erfolgreiche Börsengänge, Fusionen oder Übernahmen. Der geplante Zeithorizont dafür ist in der Regel nicht länger als 5 Jahre. Die Grundlagenforschung, welche häufig die Basis für marktgerechte Prototypen ist, wird hingegen vom Staat gesponsert, da hier die Risiken und der Kapitalbedarf hoch, die Entwicklungshorizonte lang und die Erfolgsaussichten unsicher sind. Wagniskapital konzentriert sich aber in der Regel dort, wo technologische Komplexität und der Kapitalbedarf gering sind. Ohne den Staat wären radikale und anfangs noch anwendungsferne Technologieinnovationen deswegen häufig wenig attraktiv für Investoren aus der Privatwirtschaft.

USA und Japan als Erfolgsbeispiele

Die USA und Japan sind beide zu wirtschaftlichen Großmächten gewachsen. Beide haben in unterschiedlichsten Bereichen Innovationszentren errichtet und dies bedeutete mehr als blind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu steigern. Das Gießkannenprinzip allein funktioniert nicht. Ein erfolgreiches Innovationssystem wird anhand von 4 Disziplinen gestaltet: Gezielt ausgewählte Technologien für die Förderung, die Organisation der Vernetzung von Privatwirtschaft und Forschungsvereinigungen, die richtige steuerliche Anreizsetzung für Unternehmen sowie eine fein justierte internationale Wettbewerbsstrategie. Die Erfolgsrezepte lassen sich veranschaulichen, wenn man die Sowjetunion und Japan vergleicht. Die Sowjetunion sponsorte 4% des BIP für Forschung und Entwicklung und Japan dagegen nur 2,5%. Auch wenn Japan seit einigen Jahren auf der Stelle tritt, war die Boomzeit Japans in den 70er und 80er Jahren schon immer Blaupause für eine industrielle Blüte, welche noch immer nachhallt. Diese Entwicklung entstand nicht zufällig, sondern war das Ergebnis einer durchdachten staatlichen Blaupause. Noch heute ist Japan eher ein Vorbild für industriellen Aufstieg als die Wirtschaftspläne hinter dem eisernen Vorhang.

Im Gegensatz zur Sowjetunion diversifizierte Japan das Forschungsgeld auf viele Branchen und Wirtschaftssektoren. Nur rund 2% flossen in das Militär und die Raumfahrt, während die Sowjetunion rund 70% der Investitionen in diesen Bereich steckte. Zudem errichtete Japan eine starke Integration zwischen F&E, Produktion und Technologieimport während im Osten diese Bereiche völlig isoliert waren. Vor allem aber war es den Unternehmen der Sowjetunion nicht erlaubt, vom Staat finanzierte Technologien zu vermarkten. Japan förderte genau dies und stärkte die Vernetzung zwischen Nutzern und Produzenten. Sicher werden Kritiker die privatwirtschaftliche Vorteilsnahme als Risiko sehen. Wenn Forschung aber nie unter dem Gesichtspunkt von Kundenanforderungen und betriebswirtschaftlicher Verwertbarkeit geschieht und kein Anreiz für eine kontinuierlicher Verbesserung von Basisfunktionen hinzu echten Nutzwerten besteht, verenden Ideen und Prototypen auf dem Weg zur Marktreife. Es entstehen fantasievolle Erfindungen, welche aber ohne echtes Anwendungsfeld bleiben. Wachstum entsteht nicht durch marktferne Schubladen-Basteleien, die nie den Weg in den Markt finden.

Heute wissen wir: Innovation – also die betriebswirtschaftliche Verwertung von Inventionen funktioniert dann gut, wenn der Entwicklungsprozess enge Rückkopplungen mit dem Kunden beinhaltet. Das macht neue Technologien zu attraktiven Produkten, die auch außerhalb der Landesgrenzen Abnehmer finden. Japan förderte mit 67% auch überwiegend Unternehmen mit den eigenen F&E Mitteln. Auf sowjetischer Seite machten Unternehmen nur rund 10% im Fördertopf aus. Auch waren japanische Firmen immer offen für den Input aus dem Ausland. Die Lehren, welche die Mitarbeiter aus dem Ausland mitnahmen, flossen wiederum in das eigene Land zurück. Sie studierten die Firmen in den USA, profitierten von den Erfahrungen des amerikanischen Entwicklungsstaates und erschufen Produkte und Prozesse, welche die Vorbilder sogar übertreffen konnten. Die japanische Elektronik, welche Japan Anfang der 50er Jahre im Auftrag von AT&T fertigte oder Prozessinnovationen wie Total Quality oder Just-in-Time sind prominente Beispiele hierfür. Japans Ansatz war es, Wandel innerhalb der Industrie zu orchestrieren, Verbindungen zwischen Branchen herzustellen, den öffentlichen und privaten Sektor zu vernetzen und eine nachhaltige Multiplikation von Wissen zu ermöglichen. Al dies geschah mit dem Ziel, Muda - also Verschwendung - zu vermeiden, denn Rohstoffe waren stellenweise knapp. Trotz der hohen F&E Ausgaben hat die Sowjetunion kaum durch grenzübergreifende Innovation Schlagzeilen gemacht. Weil es eben an mehr hängt als der bloßen F&E-Quote. Die Rolle des Staates besteht nicht nur darin Wissen zu schaffen, mit dem Vertrauen, dass der Markt es schon regelt, sondern es gilt dieses Wissen zu mobilisieren und eine breite Diffusion in verschiedene Sektoren zu ermöglichen. Da der Staat viel eher bereit ist, sich der Unsicherheit hinzugeben und mutige Vorhaben zu fördern, ist er auch eher in der Lage völlig neue Märkte zu erschaffen – die Nanotechnologie oder das Internet sind zwei prominente Beispiele hierfür.

Die Arbeitsteilung zwischen forschendem Staat und entwickelnden Unternehmen ist in USA gut abgegrenzt: Fast 70% aller Entwicklungsaufwendungen werden von Unternehmen getragen, wohingegen der Staatshaushalt nur 26% aller F&E-Geldmittel ausmacht. In der Grundlagenforschung dreht sich dieses Verhältnis: die Regierung stemmt 57% aller Forschungsgelder und die Unternehmen tragen nur 18% zur landesweiten Grundlagenforschung. Der Rest wird in beiden Fällen von Universitäten, und anderen nicht gewinnorientierten Organisationen getragen. Wenn heute Wagniskapitalgeber mit Stolz in der Brust den Dienst der eigenen Zunft am Silicon Valley ausführen, bleibt zu bedenken, dass der Erfolg auf der Grundlagenforschung aus den 50/60iger Jahren basiert - finanziert auf US -amerikanische Staatskosten.

Ein innovativer Staat steuert über die Keynes’sche Nachfrage und das Schumpeter’sche Innovationsangebot

Gerade für eine der wichtigsten Aufgaben unserer Generation, die grüne Wende, reicht eine reine Manipulation der Nachfragefunktion nicht aus. Damit sind Umweltbestimmungen gemeint, welche Auswirkungen auf den Energieverbrauch haben oder steuerliche Anreize für den Kauf von E-Fahrzeugen. Eine Innovationsstrategie, welche auf die Angebotsseite ausgerichtet ist, deckt dahingegen auch ab, wie Energie erzeugt wird und beeinflusst die Geschwindigkeit, mit der Innovationen entstehen. Nur durch die richtige Dosierung von Push- und Pull-Instrumenten können wir verhindern, dass ein Marktvakuum an der Stelle entsteht, wo Kunden und Unternehmen ihr Verhalten ändern wollen, aber nicht auf Alternativtechnologie wechseln können, weil sich diese noch in der Reifekammer der Entwicklungspipeline befindet. Momentan fühlen sich einige Berufspendler in genau dieser Zwickmühle gefangen, wollen sie doch einerseits von den steuerlichen Anreizen der Elektromobilität profitieren, aber keine Fahrzeuge nutzen, welche die Reichweitenanforderungen nicht erfüllen können.

China als Outperformer mit einer innovativen Angebotspolitik

China hat indes den Charme einer Angebotspolitik begriffen und legte einen Fünfjahres-Plan auf. Dieser sieht Investitionen in Höhe von 1,5 Billionen USD (5% des BIP) in die verschiedensten Disziplinen der Umwelttechnologie vor: umweltverträgliche Materialien, Brennstoffe, Biotechnologie, Fertigungsverfahren und Elektroautos sind nur einige davon. Die Besonderheit: Ökologie und Wettbewerbsfähigkeit werden in Chinas Strategie nicht als diametrale Ziele gegeneinander abgewogen. Die grüne Strategie des Landes der Mitte setzt darauf, dass Umweltschutz und Profit als komplementäre Ziele und nicht nur notwendige Kompromisse formuliert werden. China sieht in nachhaltigen Technologien also eine Win-Win-Situation für die eigene Volkswirtschaft und den Umweltschutz und korrigiert die eigenen Ziele nur nach oben.  Eigentlich plante China im 13. Fünfjahresplan bis 2020 eine kumulierte Photovoltaik-Leistung von 105 Gigawatt erreichen. Doch die Zielvorgabe war schon deutlich früher erreicht. Bis zum Jahresende 2019 wurde die installierte Photovoltaik-Leistung auf 204,3 Gigawatt gesteigert. China ist zudem führend bei der Solarthermie und der Windkraft. Der chinesische Windanlagenhersteller Goldwind etwa drängt massiv in den europäischen Markt. Noch kämpft Goldwind in Europa um das Vertrauen der Investoren, aber Fakt ist auch, die technischen Komponenten aus China sind günstiger als die Turbinen von Siemens Gamesa oder Nordex.

Der Staat als Innovationskatalysator

Der Staat kann durch seine Funktion beweglich agieren, durch die Behörden und Labore Wissen multiplizieren und durch gezielte Regulierung und Auftragsvergabe technologischen Wandel vorantreiben. Er handelt dann als Innovationskatalysator und wirkt als Funke, der das Feuer entzündet. Wir brauchen einen Staat, der nicht nur Rahmenbedingungen setzt, sondern gezielt Gewinner auswählt, aber auch ein hochgradig vernetztes System von Spielern schafft, welche mittel- bis langfristige Erfolge erzielen kann, wenn es die 3-Jahre-ROI-Direktive der Geschäftsführung nicht zulässt. In der Nanotechnologie oder beim Internet flossen die Private Equity Gelder erst 15-20 Jahre nachdem der Staat die ersten Projekte finanzierte.

Wer Risiken übernimmt, muss auch an Gewinnen partizipieren

In der Pharmabranche werden stellenweise hohe Medikamentenpreise am Markt erzielt, welche auf staatlich subventionierter Grundlagenforschung beruhen. Die Klagen der Pharmabranche über harte staatlich Regulierungen erscheinen deswegen für viele Kritiker überzogen. Ihre Forderung: wenn der Staat zur Erforschung neuer Medikamente beiträgt, sollte er auch davon profitieren. Für eine Sozialisierung von Gewinnen gibt es Konzepte: Der Staat könnte Tantiemen  für eine Technologienutzen erheben, die wiederrum in einen Innovationsfonds fließen oder auch einkommensabhängige Kredite vergeben, die genau dann Rückflüsse generieren, wenn der kommerzielle Erfolg einer Technologievermarktung eintritt. Die Verbraucher müssen verstehen, dass die Steuerzahlungen von heute zu den privaten Profite von morgen beitragen. Arbeitsplätze werden immer stärker globalisiert, zurückrudern in nationalen Protektionismus ist keine Option. Vielmehr geht es darum auch die Gewinne aus staatlichen – und damit privaten Steuerbeiträgen – so abzuschöpfen, dass die Bürger, welche letztendlich die Innovation bezahlt haben, auch davon profitieren.

Die Innovationstantiemen von heute bezahlen die Innovationen von morgen

Mit einer neujustierten Partizipationspolitik könnte der Staat dann im Sinne einer Entwicklungsbank mit langem Atem die Rückflüsse in 10- bis 20-Jahreszyklen für den nächsten notwendigen Innovationssprung nutzen. Für was wir es heute verwenden würden, wissen wir bereits: die grüne Wende und die Vereinbarkeit von Umweltschutz und Wachstum. Das Wachstum und Umweltschutz von Innovationsführern wie der USA immer noch als diametrale Zielgrößen behandelt werden zeigt, welchen Forschungs- und Entwicklungsbedarf wir hier noch zu leisten haben. Es stimmt schon, grüne Technologien sind in seltenen Fällen auch wirtschaftlich attraktiver als manche konventionellen Konzepte. Dies ist aber kein naturgegebenes Phänomen, sondern nur ein deutliches Zeichen, dass wir uns bei den nachhaltigen Technologien auf der S-Kurve noch zu weit links unten im Entwicklungspfad befinden, das heißt, wir müssen noch massiv Forschungs- und Entwicklungsarbeit hineinstecken, bis wir mit ressourcenschonenden Produkten bei geringeren Kosten einen höheren Nutzen generieren können. Ich bin aber zuversichtlich, dass uns das gelingt. Auch die ersten Automobile waren für den Benutzer erstmal teurer und weniger komfortabel als die Pferdefuhrwerke. Am Ende hat sich das Automobil aber doch durchgesetzt und heute ist es deutlich billiger und gleichzeitig komfortabler einen Golf zu fahren als ein Pferd zu besitzen. Die grüne Wende ist eines dieser Megaprojekte, welches noch viel Innovationsarbeit, Kapital und Zeit in Anspruch nehmen wird. Durch eine smarte Partizipationspolitik ließe sich aus einer Technologie, welche ursprünglich entwickelt wurde, um die Kommunikation während eines Atomkriegs aufrechtzuerhalten aber auch die grüne industrielle Revolution finanzieren. Oder anders ausgedrückt: Hätte der Staat nur 1% Rendite auf das Internet bekommen, könnte er nun grüne Technologien finanzieren.

Fazit: Der Staat kann mehr als nur Krisen reparieren, die Innovationsarbeit muss aber gut organisiert werden

Der Staat sollte Dinge ermöglichen, die sonst nicht möglich wären, sowie Keynes es in das Ende des Laissez-Faire 1926 geschrieben hat. Es geht um die kluge Auswahl von Gewinner-Technologien durch gezielte vorhabensbezogene Grundlagenforschung. Es geht aber auch darum, die Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Forschungsorganisationen festzulegen und am Ende Risiken zu übernehmen, welche die Privatwirtschaft nicht tragen will. Die Erträge der ersten Investition dienen dann der nächsten. Die bloße Intervention als Nachfragemotor in Schieflagen ist aber zu wenig. Dies mag der kurzfristigen Existenzsicherung dienen, aber hilft uns nicht die langfristigen Breakthrough-Technologien zu entwickeln, auf denen das Fundament des betriebswirtschaftlichen Erfolges der Wohlstandsinnovationen steht.

Fortschritt besteht aber aus zwei Innovationstypen: Die Verzahnung aus Grundlagenforschung und dem marktgerechten Engineering ist der Schlüssel für nachhaltigen Fortschritt. Der Staat bereitet die technologische Grundlage, auf der Unternehmen und das private Wagniskapitel aufsetzen können, um marktfähige Produkte zu entwickeln. Die Leitlinie für den Staat: nach unten absichern und im Zweifel im Geld drucken für den Nachfrage-Impetus. Er muss aber auch tollkühn sein und Innovationen mit unsicherem Ausgang fördern, die den Boden bereiten, dem Allgemeinwohl dienen und sich nicht in 3-5 Jahren abschöpfen lassen. Unternehmertum muss aber auch gelernt sein, deswegen sind klare Exitstrategien wichtig im Falle einer Staatsbeteiligung. Wir müssen also den Staat auf- statt abwerten und ihn zum Stimulus des Fortschritts zu machen. Hierzu gehört es auch, ihn dynamischer zu gestalten und die Strukturen so umzubauen, dass er mehr auf Leistung achtet. Der Staat mag als schlechter Unternehmer gelten, ihn aber auf den Nachtwächter mit bodenlosen Taschen zu reduzieren, halte ich für falsch. Zu wichtig sind die Innovationscluster wie künstliche Intelligenz oder die grüne Wende, welche den S-Kurven-Knick wohl noch vor sich haben. In diesen Breakthrough-Disziplinen wird noch viel Forschungsarbeit zu leisten sein und hier brauchen wir tollkühne Innovatoren mit langem Atem. Genau hierfür brauchen wir einen starken Staat.

Der Autor Horst Wildemann ist Professor an der TU München und Geschäftsführer der Unternehmensberatung TCW (www.tcw.de) in München. Diese berät Unternehmen bei der Einführung innovativer Technologien und neuer Geschäftsmodelle.