In der Aus- und Weiterbildung für Verkäufer ist E-Learning seit über 20 Jahren heißes Thema. Immer wieder wurde die große Revolution angekündigt, doch Praxiserfahrungen waren stets eher durchwachsen. Aktuelle Einsatzszenarien könnten den endgültigen Durchbruch bedeuten.
(Autor: Prof. Dr. Lars Binckebanck, NORDAKADEMIE – Hochschule der Wirtschaft Hamburg/Elmshorn)
Eine Studie der Chally Group im amerikanischen Finanzdienstleistungsbereich hat gezeigt, dass Low Performer im Vertrieb bis zu 70 Prozent weniger verkaufen als der Durchschnitt und damit über Opportunitätskosten erheblichen wirtschaftlichen Schaden für ihre Arbeitgeber verursachen. High Performer im Team verbessern aber nicht nur die Vertriebsergebnisse, sondern reduzieren auch die Personalfluktuation um 30 Prozent, die im Vertrieb nicht selten mit Kundenverlusten einhergeht. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer empirischer Studien, die nahelegen, dass die Aus- und Weiterbildung im Vertrieb als strategische Investition gesehen werden sollte, die die Produktivität der Vertriebsorganisation verbessert und zur nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beiträgt.
Trainings im Vertrieb sollen die aktuellen und künftigen Leistungen von Verkäufern unmittelbar steigern. Herkömmliche Trainingsmaßnahmen, die in immer gleicher Weise die verkäuferischen Grundkompetenzen schulen, erreichen diese Ziele immer schlechter. In einer komplexen Vertriebswelt benötigen Verkäufer höchst unterschiedliche Kompetenzen, die sie von Kunde zu Kunde und von Situation zu Situation variabel einsetzen müssen. Daher benötigen Verkäufer heute eine viel umfassendere Fortbildung, als noch vor zehn oder 15 Jahren.
Leider hinkt die Praxis diesem Anspruch meist deutlich hinterher. Die meisten Trainings sind nicht gezielt auf einzelne Verkäufer oder auf die spezifische Situation der Vertriebsorganisation ausgerichtet, sondern beackern die immer gleichen Themen: Fragetechnik, Verhandlung, Abschluss, durchgeführt von den üblichen Trainern mit altbekannten Sprüchen, Storys und Methoden. Die Eröffnungs- und Einstiegsrituale kosten wertvolle Trainingszeit. Die Erwartung der Teilnehmer wird erst im Seminar diskutiert, anstatt sie schon im Vorfeld strukturiert zu erheben. Und Gruppenarbeiten mit anschließender Präsentation dienen eher als Beschäftigungstherapie und nicht der Didaktik.
Einzelveranstaltungen stehen häufig konzeptlos im Raum und werden nicht in einen größeren Gesamtrahmen eingeordnet. Es fehlen die übergeordnete Zielsetzung und das integrierende Verständnis der vertrieblichen Erfolgsfaktoren. So dominieren Puzzlesteine statt ganzheitlicher Konzepte die Weiterbildungspraxis. Die kurzfristige Zufriedenheit der Teilnehmer wird mit Fragebögen erhoben – unter Trainern unter dem Namen „Happy-Sheets“ bekannt. Und da jeder Trainer gute Noten möchte, besteht eine gewisse Neigung zum Entertainment im Training, obwohl ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Show und Lernerfolg jedenfalls nicht nachgewiesen ist. Die meisten Trainings lassen Qualitätsmanagement und Effektivitätskontrolle vermissen: Ein paar Lachgesichter auf einem Evaluationsbogen reichen eben nicht aus für die Kalkulation eines fundierten „Return on Training“.
Bei der Auswahl externer Dienstleister stehen meist „weiche“ Kriterien wie die Persönlichkeit des Trainers, seine Branchenerfahrung und Didaktik im Vordergrund. So überrascht es nicht, dass die Trainerszene von mehr oder weniger charismatischen Veteranen geprägt ist, deren Methoden irgendwo zwischen Entertainment und Lehramtspädagogik angesiedelt sind, aber dem Anspruch der Ergebnisorientierung selten gerecht werden. Häufig liegt das Problem auch innerbetrieblich in der organisatorischen Zuständigkeit, denn selten werden Kosten für Vertriebstrainings als strategische Investition zur Schärfung der Speerspitze des Unternehmens gesehen. Mal ist der Trainer alter Kumpel der Vertriebsleitung, mal wird das Thema in das Standardschema innerbetrieblicher Weiterbildung gepresst und von der Personalabteilung verwaltet und mal verlangt die Geschäftsleitung, dass kurzfristig etwas für „mehr Abschlüsse“ getan werden müsse.
Dabei sind die Kosten enorm. Ein paar Tage Hotel mit Tagungspauschale und Rahmenprogramm, Trainerhonorar und Spesen mit einigen Beratertagen zur Analyse vorab, Reisekosten für das Vertriebsteam, Opportunitätskosten entgangener Verkaufsaktivitäten während der Ausbildungszeit – schnell summieren sich die Kosten für ein Vertriebstraining auf 50.000 Euro und mehr.
Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass die heutigen technischen Möglichkeiten – zusammengefasst unter dem Begriff E-Learning – viele Vorteile versprechen. E-Learning umfasst in der Regel den gesamten Aus- und Weiterbildungsprozess, der eine Vielzahl an elektronischen Informations- und Kombinationsangeboten nutzt, um Lerninhalte zu schaffen, zu verbreiten und zu individualisieren: Wikis, virtuelle Meetings, Chats, Podcasts, Cloud-Lösungen, Webinare, File Sharing, E-Books, Blogs, Online-Foren, Lehrvideos und Messenger-Dienste – und es werden laufend mehr.
Plötzlich ist das Lernen mit Kollegen oder in der Gruppe – zumindest in gewissem Maße – nicht mehr an einen gemeinsamen Ort gebunden. Lerngruppen bilden sich und lösen sich ebenso schnell wieder auf. Die Inhalte lassen sich präzise auf das Vorwissen und den Lernfortschritt des einzelnen Teilnehmers abstimmen und jeder kann den Stoff so konsumieren, wie es seinem Lerntyp am besten entspricht: als Text lesen, als Hörbuch anhören oder als Video ansehen. „Multimediale Lehrstoffaufbereitung“ sagen Fachleute dazu. Und schließlich ist Lernen in dieser Form auch nicht mehr an bestimmte Zeiten gebunden: Grundsätzlich kann jeder lernen wann er will. Lernen „On-Demand“ also.
Die Digitalisierung hält an vielen Stellen Einzug in den Vertrieb: In Form von E-Commerce als zusätzlichen Vertriebskanal, als mobiles CRM-System, das Verkäufer auch unterwegs am Laufenden hält und eben als Lern- und Informationsplattform. Verkäufer empfangen die neuen technischen Möglichkeiten nicht immer mit offenen Armen. Diese Berührungsängste sind vor allem bei älteren Mitarbeitern durchaus normal und lassen sich meist ausräumen, wenn die Unternehmen ihnen frühzeitig und systematisch begegnen. Gerade in der Fortbildung lässt sich ein typisches Verhaltensmuster von Verkäufern dazu nutzen, Widerstände abzubauen: Verkäufer sehen sich in der Regel als eigenverantwortliche und selbstbestimmte Menschen. Lernen „On-Demand“ – autonom, individuell und selbstgesteuert – wie oben beschrieben passt genau in dieses Selbstbild und kann Verkäufer zum Lernen aktivieren und motivieren.